Ein Jahr ohne Bad

Von drei auf null: Ein Jahr ohne Bad

Das Hallenbad 2017 wegen des einsturzgefährdeten Dachs geschlossen, das Freibad Kehl noch vor Ende der Badesaison 2021 irreparabel kaputt, das Freibad Auenheim ein Sanierungsfall: Von drei auf null 2022 ist in Kehl ein Jahr ohne Bad. Zum ersten Mal seit den 1950er-Jahren. Kurz vor Jahresende macht der Gemeinderat den Weg frei für den Bau eines Kombibads.

Rückblick

Das Ende des Kehler Freibades kommt mit Ansage: Seit Jahren wissen Stadtverwaltung und Gemeinderat um den maroden Zustand von Technik, Becken und Leitungen; die Wasserverluste betragen zum Schluss 450 000 Liter – pro Tag. Als dann die Chlorgasanlage ihren Dienst versagt, ist Schluss: Bodo Kopp, Leiter der für die Bäder zuständigen Technischen Dienste Kehl (TDK), spricht vom wirtschaftlichen Totalschaden. Noch vor Ende der Badesaison 2021 muss das Freibad Kehl schließen – für immer.

Beim Auenheimer Freibad kommen die schlechten Nachrichten überraschend: Messungen ergeben, dass auch hier bis zu 150 000 Liter gechlortes Wasser täglich ins Erdreich fließen. Die Stadt meldet diesen Missstand dem Landratsamt und im Herbst 2021 steht fest, dass die Einrichtung ohne umfangreiche Sanierungsmaßnahmen nicht weiter betrieben werden darf. Schnell wird deutlich: Die Reparatur wird teuer und kann unmöglich vor dem Beginn der Badesaison 2022 abgeschlossen werden, obwohl die Voruntersuchungen auf dem Gelände unverzüglich beginnen.

Weil die Zu- und Ausläufe teilweise sehr nah an der Beckenwand liegen, muss von Hand aufgegraben werden, um sicherzustellen, dass die Beckenhaut nicht beschädigt wird. Weitere Untersuchungen sowie Befahrungen der Leitungsrohre mit Kameras zeigen, dass die 83 Zu- und Abläufe erneuert werden müssen, aber auch dass Schieber faustgroße Rostlöcher aufweisen. Auf 1,35 Millionen Euro werden die Kosten für die Sanierung geschätzt; am 26. Januar beauftragt der Gemeinderat die TDK mit einstimmigem Beschluss, die Ausschreibungen vorzubereiten.

Von Anfang an ist klar, dass es sich um eine Sanierung des Auenheimer Bades handelt und nicht um eine Runderneuerung: Die Instandsetzung soll einen weiteren Betrieb der Freizeiteinrichtung von etwa zehn Jahren ermöglichen. Hat schon die Schließung des Hallenbades dem Schwimmverein und der DLRG ihre Trainingsmöglichkeiten im Winter genommen, die Zahl der Schwimmkurse und den Schwimmunterricht in den Kehler Schulen reduziert, fürchten die Vereine nun um ihre Existenz und die politischen Verantwortungsträger sehen sich mit dem Vorwurf aus der Bevölkerung konfrontiert, dass mindestens eine Generation von Nichtschwimmern heranwachse.

Neustart 2022

Oberbürgermeister Toni Vetrano, der die ersten Vergaben für die Planung eines neuen Kombibades auf dem Gelände des Kehler Freibades im Mai 2020 stoppen musste, weil die Corona-Pandemie für den städtischen Haushalt unabschätzbare Risiken barg, schlägt dem Gemeinderat am 26. Januar vor, das Projekt wieder aufzunehmen und bis Ende Mai 2022 einen aktuellen Finanzierungsplan zu erstellen. Die Projektgruppe Neubau Kombibad, die wenige Wochen nach der Schließung des Hallenbades ins Leben gerufen wurde und ein vom Gemeinderat einstimmig beschlossenes Raumprogramm für ein neues Bad erarbeitet hat, schöpft bei ihrem Treffen vor der Sitzung neue Hoffnung. Doch diese währt nur kurz: Zwar votiert das Gremium nach ausführlicher Diskussion einstimmig für die Aktualisierung der Finanzdaten, streicht aber die Wiederaufnahme des Projekts aus dem Beschlussvorschlag.

Nach dem Amtsantritt von Oberbürgermeister Wolfram Britz am 1. Mai wendet sich das Blatt: Am 18. Mai erteilt das Gremium dem Büro Kannewischer, das die Stadt bereits im Architektenwettbewerb für das Kombibad 2019 begleitete hatte, den Auftrag, eine neue Kostenschätzung vorzunehmen und zwar auf der Basis, des von der Projektgruppe gewünschten Raumprogramms. Außerdem soll die Verwaltung nach Projektpartnern suchen und das bedeutet in erster Linie, Gespräche mit der Eurométropole de Strasbourg aufzunehmen. Einen Baubeschluss fasst das Gremium auch in dieser Sitzung nicht.

Draufsicht auf den Plan des Wettbewerbssiegers
So könnte das neue Kombibad aussehen: Der von der AHM Arnke Häntsch Mattmüller Architekten GmbH zum Wettbewerb 2019 eingereichte Entwurf wurde von der Jury aus Fach- und Sachpreisrichtern mit dem ersten Preis ausgezeichnet.

Der Weg fürs Kombibad ist frei

Dafür macht der Gemeinderat am 7. Dezember mit einem einstimmigen Votum für die Aufnahme der Mittel für die Planung in den Doppelhaushalt 2023/2024 der Stadt und den Wirtschaftsplan der TDK den Weg fürs Kombibad frei. Und so werden im Entwurf für den nächsten Doppelhaushalt für 2023 Planungsmittel in Höhe von 500 000 Euro eingestellt und weitere 1,5 Millionen Euro für 2024. In die mittelfristige Finanzplanung der Stadt werden zusätzliche 6,5 Millionen Euro für den Bau des Bades aufgenommen. Diese insgesamt 8,5 Millionen Euro sind allerdings nur der Zuschuss, den die Stadt den TDK fürs Kombibad gibt. Den Differenzbetrag zu den voraussichtlichen Baukosten von 42 bis 45 Millionen Euro müssen die TDK über Kredite finanzieren. Einer Beteiligung der Eurométropole am Kombibad hat die Straßburger Oberbürgermeisterin Jeanne Barseghian in einem Gespräch mit OB Britz eine Absage erteilt: Vor allem die durch den Krieg in der Ukraine ausgelöste Energiekrise zwingt die Gebietskörperschaft zu erheblichen Einsparungen.

Aufgrund der enormen Baukostensteigerung wird das Bad eine deutlich höhere Investition erfordern als die im Sommer 2019 geschätzten 28 bis 30 Millionen Euro. Dennoch lehnt der Gemeinderat die vom Ingenieurbüro auf Wunsch des Gremiums erarbeiteten Einsparvorschläge ab und bleibt beim von der Projektgruppe erarbeiteten Raumprogramm fürs Hallenbad mit einem Schwimmbecken mit sechs Bahnen, einem Nichtschwimmerbecken, das auch für Wassergymnastikkurse groß genug ist, einem Kleinkindbecken und einer Gastronomie. Lediglich im Bereich des angegliederten Freibades ist eine Optimierung der Wasserflächen und damit der Beckenformen vorstellbar, um Kosten zu sparen. Außerdem wird der zehn Meter hohe Sprungturm zur Disposition gestellt; bei einer Beschränkung auf ein Dreimeterbrett könnte die Wassertiefe im Becken deutlich verringert werden. Das gesamte Einsparpotential wird vom Fachbüro auf zehn Prozent geschätzt.
Darüber hinaus spricht sich das Gremium eindeutig dafür aus, das komplette Kombibad in einem Schritt umzusetzen und nicht zuerst das Hallenbad zu errichten, um später den Freibadteil hinzuzufügen. Bei einem solchen Verfahren hätte sich die gesamte Bauzeit voraussichtlich über zehn Jahre erstreckt, während das Kombibad fünf Jahre nach Planungsbeginn eingeweiht werden könnte. Und damit rechtzeitig vor dem prognostizierten Ende der Lebenszeit des Freibades Auenheim. Dieses wird nach Abschluss der Sanierungsarbeiten, macht Bodo Kopp am 7. Dezember Hoffnung, im Mai 2023 wieder in Betrieb gehen können.

Betriebskosten

Nicht nur die Baukosten für ein Kombibad werden den städtischen Haushalt belasten, sondern auch die Betriebskosten. Diese werden auf 2,5 Millionen Euro pro Jahr geschätzt. Für den Betrieb des Freibades Auenheim kommen 850 000 Euro hinzu, wenn es nach der Fertigstellung des Kombibads weiterbetrieben wird.

Befürchtetes Chaos bleibt aus

Nachdem klar ist, dass es in Kehl 2022 kein geöffnetes Freibad geben wird, stellt nicht nur die Straßburger Tageszeitung Dernières Nouvelles d‘Alsace die Frage in den Raum, wo Elsässerinnen und Elsässer im Sommer baden gehen werden. Auch in den Nachbarstädten des Ortenaukreises fürchtet man zum einen den Ansturm der Badegäste aus dem Elsass, zum andern, dass Jugendliche unangepasstes Verhalten an den Tag legen könnten. In Oberkirch sind die geschlossenen Kehler Bäder gar Thema im Gemeinderat. Für den ohnehin stets gut frequentierten Korker Baggersee werden in Leserbriefen in der Kehler Zeitung und in sozialen Netzwerken chaotische Zustände prophezeit.

Eine lange Reihe von Warnbaken an der Straße zum Baggersee
Mit einer langen Reihe von Warnbaken konnten die Rettungswege beim Korker Baggersee freigehalten werden.

Doch obwohl der langanhaltend heiße Sommer 2022 nur knapp hinter dem Hitzerekord von 2003 zurückbleibt, verläuft die Badesaison an den Badeseen in Kehl und Umgebung ruhig. Mit der Situation am Korker Baggersee zeigen sich Landespolizei und die städtische Leiterin des Bereichs Ordnungswesen, Julia Winkler, nach Saisonende gar zufrieden: Weil Warnbaken in den Zufahrtsbereichen für die Rettungskräfte verhindern, dass diese von uneinsichtigen Autofahrern zugeparkt werden, muss kein einziges Fahrzeug abgeschleppt werden. Auch andere Regelungen, wie das wegen der starken Trockenheit verhängte Grillverbot, werden weitgehend eingehalten, nur wenige Ermahnungen sind nötig. Die Stadt verhängt 195 Bußgelder gegen Falschparker am See und auf dem Parkplatz an der B 28. Bei der Sommersitzung des Beratungsteams Kommunale Kriminalprävention berichten auch die Leitungen der Bereiche Ordnungswesen aus Willstätt, Rheinau und Appenweier von normalem Badetrieb an den Bagger- und Badeseen auf ihren Gemarkungen.

Was war 2022?

2022 war in mehrerlei Hinsicht ein besonderes Jahr: Corona hat Europa noch im Griff, als die russische Armee am 24. Februar in die Ukraine einmarschiert und einen grausamen Krieg entfacht. Die Auswirkungen erreichen schnell auch Kehl: In der Rheinstadt werden deutlich mehr Geflüchtete aufgenommen als in den Jahren 2015/2016 und die durch den Lieferstopp für russisches Gas ausgelöste Energiekrise belastet Privathaushalte und öffentliche Kassen. Ereignisse, die auch die ersten Monate der Amtszeit des neuen Oberbürgermeisters Wolfram Britz überschatten. 2022 war in Kehl ein Jahr ohne Schwimmbad, aber auch ein Jahr, in dem endlich wieder gefeiert werden durfte.

Nach 22 Jahresrückblicken in gedruckten Jahresschriften bringt das Jahr 2022 ebenfalls eine Veränderung: Von Weihnachten bis Dreikönig fassen wir an dieser Stelle die wichtigsten Themen des Jahres rückblickend zusammen – als Übergang zu einer digitalen und interaktiven Jahresschrift in Form eines Flipbooks von 2023 an.