Hitzesommer 2022
Stadt beschließt lokale Strategien zur Klimawandelpassung - Gießfahrzeuge sind vier Monate im Dauereinsatz
900 Sonnenstunden misst der Deutsche Wetterdienst in Baden-Württemberg für die Monate Juni, Juli und August 2022. Damit liegt das Bundesland sogar noch über dem Rekordmittelwert von deutschlandweit 820 Sonnenstunden im Sommer. Dem Stadtgrün macht der Hitzesommer derart zu schaffen, dass die Betriebshof-Mitarbeitenden über die Hitzemonate quasi im Bewässerungsdauereinsatz sind.
Mehr als 200 Wochenarbeitsstunden investieren die Mitarbeitenden des Betriebshofs in diesem Jahr in die Bewässerung des Stadtgrüns. In den Monaten Mai bis September fahren sie mit ihren Gießfahrzeugen durch die Kernstadt und die Ortschaften. Dabei entfallen rund zwei Drittel der Gießfahrten auf die Kernstadt. „Dort ist die Not aufgrund der hohen Versiegelung höher“, berichtet Frank Wagner, stellvertretender Leiter des Betriebshofs. In den Ortschaften geht es den Bäumen und Staudenbeeten aufgrund des Offenlandsystems zwar besser, zusätzlich gegossen werden müssen sie dennoch. In den Spitzenmonaten übernehmen zwischen sechs und acht Mitarbeitende täglich Gießfahrten. Das Personal steht zur Verfügung, weil der Betriebshof die Pflanzungen von Wechselflor stark reduziert. Wo Landschaftsgärtnerinnen und -gärtner nicht mehr zweimal im Jahr rund 40 000 Pflanzen setzen müssen, werden Kapazitäten für den Gießeinsatz frei. Und diese werden auch benötigt. Denn im Sommer kommt es auch beim Betriebshof noch zu coronabedingten Krankheitsfällen. „Da war Logistik gefragt. Doch trotz der immensen Anstrengungen waren Hitzeschäden an Bäumen und Stadtgrün leider nicht gänzlich zu vermeiden“, sagt Frank Wagner. Der Arbeitsaufwand ist so hoch, dass der Betriebshof die Kehlerinnen und Kehler im Sommer um Unterstützung bittet: Wer über einen Außenwasseranschluss oder sogar über einen eigenen Brunnen sowie einen Gartenschlauch verfügt, möge damit Bäume oder Grünflächen vor der eigenen Haustür gießen. Denn parallel erfüllen die Betriebshof-Mitarbeitenden zusätzliche Aufgaben wie die Stadtreinigung oder Bestattungen.
Nicht nur Bäume muss der Betriebshof im Sommer bewässern, auch Stillgewässer wie der Altrhein brauchen den Wassereintrag. „Fische und Wasserpflanzen leiden ebenfalls unter dem Hitzestau“, berichtet Frank Wagner. Deshalb richten die Mitarbeitenden des Betriebshof den Wasserstrahl ihrer Tankfahrzeuge auch auf den Altrhein. Durch die anhaltende Hitze sinkt der Wasserspiegel. Zudem sterben Wasserpflanzen ab, was dem Stillgewässer zusätzlichen Sauerstoff entzieht. Im Steinlöchel in Sundheim kommt es deshalb im August zu einem Fischsterben. Am Altrhein wird das verhindert, indem ihm mit dem Frischwasser dringend benötigter Sauerstoff zugegeben wird.
Ihre Wassertanks befüllen die Betriebshof-Mitarbeitenden überwiegend an vorhandenen Tiefbrunnen, verwenden also kein Trinkwasser. Hier erweist sich die unmittelbare Rheinlage als Standortvorteil für Kehl. „Wir kommen sehr schnell an Grundwasser“, sagt Frank Wagner. Das Amt für Wasserwirtschaft und Bodenschutz des Landkreises berichtet im Juli, dass sich die Grundwasserstände und Quellschüttungen auf unterdurchschnittlichem Niveau bewegen. Auch in Kehl sei der Grundwasserspiegel gesunken, berichtet Frank Wagner. Der Grund: Die wiederkehrenden Hitzesommer haben die Böden in der Rheinstadt ausgetrocknet. Dadurch nehmen sie Niederschläge bei Starkregen schlecht auf. Statt ins Grundwasser zu versickern, gelangen die Niederschlagsmengen in die Kanalisation und von dort aus in die Kläranlagen, wo sie aufwendig aufbereitet werden müssen, oder in die Regenwasservorfluter.
Die Bewässerungsmaßnahmen im Sommer wertet der stellvertretende Betriebshofleiter als Erfolg. Zwischen 150 und 160 Bäume muss der Betriebshof in diesem Jahr fällen lassen. Etwa die Hälfte der Fällungen geht auf Klimaschäden zurück. „Der Anteil an Altbäumen überwiegt hierbei leider, da deren tiefliegende Wurzeln nicht durch die oberflächige Bewässerung erreicht werden konnten“, berichtet Betriebshofleiter Peter Grün. Weitere Gründe sind Unfallschäden, Wurzelschäden durch Bauarbeiten sowie das Absterben aus Altersgründen. In der Vergangenheit wurden oftmals Eschen, Ahorne und Platanen auf kleinen Baumquartieren gepflanzt. Dort verkümmern sie, werden anfällig für Schädlinge und büßen an Standfestigkeit ein. Auf dem Kehler Marktplatz muss im März eine hochgewachsene Platane gefällt werden, weil an dem Baum ein Pilzbefall entdeckt wird. Da Platanen dazu neigen, unter Stress auch gesunde Äste abzuwerfen und dadurch Passanten gefährdet werden könnten, nehmen Betriebshof-Mitarbeitende das Gehölz auf dem Marktplatz ab. Als Ersatzpflanzung werden im April und November je eine rotblühende Kastanie gesetzt. Diese erhalten einen deutlich größeren Wurzelraum samt moderner Bewässerungs- und Belüftungstechnik und einem speziellen Baumsubstrat. „Die neuen Bäume sollen langfristig für Schatten, ein gutes Mikroklima und für eine angenehme Atmosphäre auf dem Marktplatz sorgen“, sagt Frank Wagner.
Perspektivisch werden die Sommer in der Rheinstadt wärmer und trockener. Kann das Ziel des Pariser Klimaabkommens nicht eingehalten und die Erderwärmung nicht auf 1,5 Grad begrenzt werden, nehmen die Sommer- und heißen Tage sowie die Tropennächte bis ins Jahr 2050 zu. Die Stadtklimaanalyse prognostiziert 18 (statt bislang zwölf) heiße Tage mit Temperaturen von mehr als 30 Grad, im Klimasteckbrief der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg sind es 21. Während die Universität vier Tropennächte, an denen die Außentemperatur nicht unter die 20-Grad-Marke sinkt, voraussagt, sind es in der Stadtklimaanalyse fünf. Anders als in der Stadtklimaanalyse wird im Klimasteckbrief der Albert-Ludwigs-Universität jedoch ein Worst-Case-Szenario dargestellt. Um sich auf die sich ändernden klimatischen Bedingungen vorzubereiten und an die neuen Verhältnisse anzupassen, beteiligt sich Kehl als eine von insgesamt sechs Pilotkommunen seit 2020 an dem Forschungsprojekt LoKlim.
LoKlim: 39 Maßnahmen zur Klimawandelanpassung
Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Verwaltung, von Institutionen und aus der Wirtschaft sowie zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger treffen sich an drei Terminen in der Stadthalle. In den Workshops sammeln sie mehr als 300 Vorschläge für Maßnahmen zur Klimaanpassung. Beim Abschlusstreffen im Juni werden die Vorschläge priorisiert und auf die Handlungsfelder „Naturschutz und Biodiversität“, „Wasser“, „Landwirtschaft und Waldmanagement“, „Stadt- und Freiflächenplanung“, „Bauen und Wohnen, Katastrophenschutz“, „Verkehr“, „Gesundheit und soziale Einrichtungen“, „Wirtschaft und Gewerbe“ sowie „Institutionelle Verankerung“ verteilt. Am Ende stehen ein Strategiepapier und ein Aktionsplan, der insgesamt 39 Einzelmaßnahmen umfasst. Den Aktionsplan beschließt der Gemeinderat, vorbehaltlich der Haushaltsberatungen, im Oktober. In derselben Sitzung verabschiedet das Gremium bereits die erste LoKlim-Einzelmaßnahme: Das Förderprogramm Klimaangepasst Wohnen ist seit Jahresbeginn 2023 unbefristet für alle Kehlerinnen und Kehler abrufbar. Wer das Dach oder die Fassade seines Eigenheims, seiner Garage oder seines Gartenhauses begrünen, sein Grundstück teilweise oder vollständig entsiegeln oder sich dazu beraten lassen möchte, kann sich dies mit bis zu 3000 Euro durch die Stadt fördern lassen. Bereits im September beschließt der Gemeinderat, das Förderprogramm, vorerst bis Jahresende 2022 befristet, auf die gesamte Kehler Gemarkung auszuweiten. Das Förderprogramm stammt aus dem Jahr 2020 und konzentriert sich anfangs auf in der Stadtklimaanalyse definierte bioklimatisch ungünstige Bereiche. Die Forderung nach einem Förderprogramm für Fassaden- und Dachbegrünung im gesamten Stadtgebiet ist eine Einzelmaßnahme im LoKlim-Aktionsplan. Im Oktober entfristet der Gemeinderat das Förderprogramm ab 2023. „Was sich aus den Maßnahmen ganz gut herauslesen lässt, ist der Wunsch nach mehr Grün in der Stadt“, berichtet Klimaschutzmanagerin Ines Arko. Innerhalb von drei Jahren, das heißt bis ins Jahr 2026 hinein, möchte die Stadt den LoKlim-Maßnahmenkatalog umsetzen.
Damit Neupflanzungen im Stadtgrün die kommenden Hitzemonate überstehen, achten die Betriebshof-Mitarbeitenden auf eine gute Standortwahl, auf Sortenvielfalt und verwenden das eigens für die undurchlässigen Böden der Rheinstadt entwickelte Substrat, das den Luftaustausch verbessert und Wasser besser speichert. In Baugebieten werden Versickerungsmulden angelegt, die in der Lage sind, Niederschläge zeitweise zu speichern und an das Grundwasser abzugeben. Ein Beispiel für ein derartiges Entwässerungssystem ist der Grünzug Klein-Allmend im Wohngebiet Schneeflären.