Weg der Erinnerung

Damit die Erinnerung nicht verblasst: Tafeln am Weg der Menschenrechte erneuert

Nach fast 20 Jahren war sie kaum noch lesbar: Die Tafel, die den Weg der Erinnerung und der Menschenrechte am Pfeiler der Europabrücke im Kehler Teil des Gartens der zwei Ufer markiert, wurde jetzt erneuert. Das Gleiche gilt für ihre kleinere Ausgabe im Bahnhofsgebäude und alle weiteren Schilder, die auf 20 Orte grausamer Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf beiden Seiten des Rheins hinweisen. Am späten Mittwochnachmittag (31. Mai) wurde am Fuße der Passerelle in Straßburg eine der neuen Tafeln von der Straßburger Beigeordneten Anne Mistler und Kehls Erstem Beigeordneten Thomas Wuttke symbolisch enthüllt.

die genannten Personen stehend hinter dem Schild, im Hintergrund die Passerelle des deux Rives
Bernard Klingelschmidt, Kehls Erster Beigeordneter Thomas Wuttke und die Straßburger Beigeordnete für Kultur, Anne Mistler enthüllten symbolisch eines der 20 neuen Schilder des Weges der Erinnerung und der Menschenrechte am Fuße der Passerelle.

Die weiße Tafel an der Europabrücke ist in unmittelbarer Nachbarschaft zur steinernen Gedenktafel angebracht, welche die Namen der neun Widerstandskämpfer des Réseau Alliance trägt, die am 23. November 1944, dem Tag der Befreiung Straßburgs, von Nazischergen aus der Kehler Gefängnis an den Rhein geschleppt und dort bestialisch ermordet wurden. 60 Jahre später entstand der Gedanke – Ideengeberin war die damalige Lehrerin am Einstein-Gymnasium und heutige Stadträtin Helga Schmidt – auf beiden Rheinseiten einen Weg der Erinnerung zu markieren.

In einem deutsch-französischen Dialog, den das Centre international d’Initiation aux Droits de l’Homme (CIDH) mit Sitz in Sélestat einleitete, wurden die von Sébastien Kuntz künstlerisch gestalteten Tafeln entwickelt. Ähnlich wie Stationen eines Kreuzwegs verweisen sie auf Orte, an denen Nazis grausame Verbrechen verübt haben. In Kehl sind über das Rheinufer hinaus das von Jörg Bollin gestaltete Mahnmal in der Form einer zerbrochenen Säule, der Gedenkstein an der Friedenskirche und die Stele am Standort der ehemaligen Synagoge in der Schulstraße benannt. In Straßburg sind vier Orte in den Weg der Erinnerung aufgenommen: der jüdische Friedhof im Stadtteil Cronenbourg, die Stele zum Gedenken an die am 15. Juli 1943 im Fort Desaix erschossenen sechs Mitglieder der Widerstandsbewegung „Le Front de la Jeunesse d’Alsace“ unweit der Europabrücke, die Stelen des Réseau Alliance im Garten der zwei Ufer und das anatomische Institut des ehemaligen Bürgerspitals. Dort wurden, wie Kulturbeigeordnete Anne Mistler berichtete, die Skelette von 29 Frauen und 57 Männern, alle jüdischen Glaubens, entdeckt. Erst im vergangenen Jahr sei es gelungen, sie alle zu identifizieren.

Der Krieg in der Ukraine zeige, wie wichtig es sei, die Menschenrechte zu verteidigen, erklärte Anne Mistler. Wenn Straßburg im kommenden Jahr Welthauptstadt des Buches sei, werde es zahlreiche Gelegenheiten geben, um sich über die Freiheit von Gedanken und Rede auszutauschen. Als Beispiel führte sie an, dass die in Frankreich einst verbotenen Werke von Voltaire und Rousseau damals in der Druckerei von Caron de Beaumarchais hergestellt wurden.
Thomas Wuttke nahm den 30. Jahrestag des Brandanschlags von jungen Rechtsradikalen auf das Haus der Familie Genç in Solingen, bei dem fünf Menschen starben, zum Anlass, um zu verdeutlichen, wie wichtig es ist, dass die Erinnerung nicht erlischt. Er verwies auf die folgenden Anschläge in Hoyerswerda, Saarlouis, Rostock-Lichtenhagen und Mölln, auf die Morde des sogenannten NSU, die Morde von Halle und Hanau und zitierte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der in seiner Gedenkrede gesagt hatte: „Diesen rechten Terror gab es vor Solingen, und es gibt ihn nach Solingen. Es gibt eine Kontinuität von rechtsextremer Gewalt in unserem Land.“

Weil es nicht um verblendete Einzeltäter gehe, sondern um Rassismus, Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit und weil die Zeitzeugen, die von der Shoah oder vom Widerstand gegen die Nazidiktatur berichten könnten, im mehr verstummten, sei die Erinnerung nötiger denn je: „Die beiden Tafeln an der Europabrücke, die Gedenktafeln im Bahnhofsgebäude, die neun Grenzrosen, die zerbrochene Säule in der Jahnstraße, die Stele für die von den Nazis geschändete Synagoge in der Schulstraße – und jeder einzelne Stolperstein, der ins Pflaster unserer Gehwege eingelassen, sollen uns erinnern und mahnen zugleich“, sagte Thomas Wuttke und schloss: „Mahnen, damit wir wachsam bleiben, wenn Demokratie, Menschenrechte und Frieden bedroht werden.“

Gemeinsam mit Anne Mistler und Bernard Klingelschmidt vom CIDH enthüllte er die Tafel am Fuße der Passerelle. Die kleine Zeremonie wurde von der Gruppe Papyrus musikalisch umrahmt.

Die Broschüre, die alle 20 Stationen in französischer und deutscher Sprache ebenso beschreibt wie die Entstehungsgeschichte des Weges der Erinnerung und für Menschenrechte, steht auch in digitaler Form zur Verfügung.