Deutsch-französische Kinderkrippe

Eine Erfolgsgeschichte: Zehn Jahre deutsch-französische Kinderkrippe

Seit zehn Jahren gibt es im Straßburger Rheinhafenviertel, nur wenige Meter von der Trambrücke entfernt, die deutsch-französische, grenzüberschreitende Kinderkrippe. Was im April 2014 als Pionierprojekt der Städte Straßburg und Kehl begann, hat sich zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt, die im Aachener Vertrag Erwähnung findet und selbst in der EU-Kommission in Brüssel als exemplarisch gilt. Am Freitag (12. April) wurde mit einem Fest für Kinder und Eltern Geburtstag gefeiert.

Seit zehn Jahren wachsen in der deutsch-französischen, grenzüberschreitenden Kinderkrippe je 30 Kinder aus Kehler und aus Straßburger Familien gemeinsam auf.

Entsprechend kurz hielten sich die Rednerinnen und Redner, die allesamt die Besonderheit der Einrichtung hervorhoben: Als Erfolgsmodell, das aus einer beispielhaften Kooperation zwischen den Städten Straßburg und Kehl hervorgegangen sei, bezeichnete Véronique Bertholle, Beigeordnete für internationale Beziehungen im Straßburger Rathaus, die deutsch-französische Kinderkrippe: Sie sei nicht nur ein Beweis für die tiefe Freundschaft der beiden Städte, der starke politische Wille, von dem das Projekt getragen sei, habe auch geholfen, während der Entstehungsgeschichte und in der Anfangsphase etliche Hindernisse zu überwinden.

So sah es auch Oberbürgermeister Wolfram Britz: „Nicht nur die Kinder, die in den vergangenen zehn Jahren das Glück hatten, diese Krippe besuchen zu dürfen, sind hier gewachsen, sondern wir alle.“ Die Einrichtung sei in jeder Hinsicht eine Antwort auf die Bedürfnisse der Familien in Kehl und Straßburg, „sie passt in unseren rheinüberschreitenden Lebensraum wie die Passerelle des deux Rives und die Trambrücke zwischen die beiden Flussufer – und bildet eine ebenso wichtige Verbindung“. Denn die Krippe verbinde über die Kinder hinaus auch die Familien. So entstehe Verständnis für die Lebens- und im besten Falle auch die Denkweise des jeweils anderen.

Wie Véronique Bertholle bedankte sich auch Wolfram Britz beim Leitungsduo, Elodie Sieffer und Jessica Vinel, sowie beim ganzen Team für die Arbeit mit den Kindern und den Familien in einem mehrsprachigen und interkulturellen Umfeld. Der Dank ging auch an AASBR-Geschäftsführer Sébastien Meyer – der Verein betreibt die Krippe bereits seit der Eröffnung im Auftrag von Straßburg und Kehl – für die Ausdauer und die Bereitschaft, Schwierigkeiten zu meistern, die in nationalen Einrichtungen erst gar nicht entstehen. OB Wolfram Britz erinnerte außerdem daran, dass ein deutsch-französisches Architektenteam für die grenzüberschreitende Krippe ein Haus geplant habe, das genau auf das besondere pädagogische Konzept zugeschnitten ist: Dass viel Herzblut in das besondere Gebäude geflossen ist, zeigte auch der Umstand, dass Architekt Ralf Mika zur Feier des zehnjährigen Bestehens gekommen war.

Lachende Gesichter beim zehnten Geburtstag der deutsch-französischen, grenzüberschreitenden Kinderkrippe: (von links) Oberbürgermeister Wolfram Britz, Architekt Ralf Mika, Michaela Könner und Sylvie Dieckhoff, für die Krippe zuständigen Fachkoordinatorinnen der Städte Kehl und Straßburg, Véronique Bertholle, Beigeordnete für internationale Beziehungen der Stadt Straßburg. Ganz rechts Sébastien Meyer, Geschäftsführer des Krippenbetreibervereins AASBR, daneben Elodie Sieffer und Jessica Vinel, das Leitungsduo der Krippe. Dazwischen die beiden Vertreterinnen der französischen Familienkasse. 

Kleine Krippengeschichte

30 Kinder aus Kehler und 30 Kinder aus Straßburger Familien im Alter von zwei Monaten bis etwa dreieinhalb Jahren wachsen in der grenzüberschreitenden Einrichtung mit zwei Sprachen gemeinsam auf und in zwei Kulturen hinein. Betreut und gefördert werden die Kleinen von einem Team aus 18 pädagogischen Fachkräften. Neun von ihnen haben ihre Ausbildung in Deutschland absolviert, neun in Frankreich. Geleitet wird die Krippe von einem gleichberechtigten deutsch-französischen Duo. Erzieherinnen und Erzieher sprechen in ihrer jeweiligen Muttersprache mit den Kindern.
Der Umgang mit beiden Sprachen und beiden Kulturen, der den Kindern spielerisch und mit Leichtigkeit gelingt, war für die pädagogischen Fachkräfte zunächst deutlich schwieriger.

Nach der Eröffnung der mit Mitteln aus dem INTERREG-Fonds der Europäischen Union geförderten Krippe im April 2014 zeigte sich rasch: Der Umgang mit Babys und Kleinkindern unterscheidet sich in Frankreich und Deutschland deutlich. Diesen Umstand hatte das Team aus Mitarbeitenden der beiden Stadtverwaltungen von Straßburg und Kehl trotz der sorgfältigen und langen Vorbereitung des Projekts unterschätzt. Doch ist es mit interkultureller Mediation des Euro-Instituts gelungen, Verständnis für die Herangehensweisen der Fachkräfte aus dem jeweiligen Land zu wecken und mit Sprachkursen die Verständigung zu verbessern, so dass deutsche und französische Erzieherinnen und Erzieher inzwischen zu einem Team zusammengewachsen sind.

„Die Kinder sind glücklich, die Eltern sehr zufrieden“, zieht Michaela Könner, als Fachkoordinatorin für Erziehung und Bildung bei der Stadt Kehl auch für die grenzüberschreitende Krippe zuständig, nach zehn Jahren Bilanz. Die 30 Plätze für Kehler Kinder sind nicht nur rasch belegt – „es gibt immer auch eine Warteliste“, sagt sie.

2009

Der damalige Straßburger Oberbürgermeister Roland Ries schreibt seinen Kehler Amtskollegen Dr. Günther Petry an und regt an, zu prüfen, ob eine gemeinsame Kinderkrippe eingerichtet werden könnte. Beide Städte haben bereits zu diesem Zeitpunkt einen großen Bedarf an Betreuungsplätzen für Kleinkinder. Rasch wird eine Arbeitsgruppe gebildet. Mitarbeitende beider Verwaltungen aus den Bereichen frühkindliche Betreuung und Bildung und grenzüberschreitende Zusammenarbeit besichtigen in einem ersten Schritt Krippen auf beiden Rheinseiten. Die Unterschiede sind beträchtlich: In Straßburg werden bereits Babys ab einem Alter von zwei Monaten aufgenommen, in Kehl erst Kleinkinder, die den ersten Geburtstag bereits gefeiert haben. Während in Kehl auch für die Jüngsten schon das Prinzip der Offenen Arbeit gilt, werden die Kinder in Straßburg in streng getrennten Gruppen betreut. Kinder unterschiedlicher Gruppen und ihre Eltern begegnen sich höchstens beim Bringen und Abholen der Kleinen auf dem Flur.

2010

Nachdem die Arbeitsgruppe ein Konzept präsentiert, das die Vorteile aus dem französischen und dem deutschen System vereint, ist für Roland Ries und Günther Petry klar: Für Kehl und Straßburg bietet sich die Möglichkeit, eine Kinderkrippe zu konzipieren, die speziell auf die Bedürfnisse im rheinüberschreitenden Lebensraum ausgerichtet ist. Damit diese besondere Chance genutzt werden kann, gilt es allerdings, die Aufsichts- und Genehmigungsbehörden in beiden Ländern zu überzeugen und ins Boot zu holen. Da es sich um ein Modell handelt, dass es so noch nirgendwo gibt, beginnt eine schwierige Phase, in der das Vorhaben mehrmals zu scheitern droht. Am Ende gelingt es jedoch auf beiden Rheinseiten, die Zusagen zu bekommen, dass die Krippe sowohl in Frankreich als auch in Deutschland wie eine nationale Einrichtung betrachtet wird. Das heißt: Sowohl die Zuschüsse für den Bau als auch für den Betrieb der Krippe werden zugesagt.

2011

Am 23. März fasst der Kehler Gemeinderat den Beschluss, die deutsch-französische Kinderkrippe gemeinsam mit der Stadt Straßburg auf deren Grundstück im Vor- und Grundschulkomplex im Rheinhafenviertel zu bauen. Am 17. Oktober entscheidet der INTERREG-Begleitausschuss, den Bau der grenzüberschreitenden Krippe mit 1,68 Millionen Euro zu unterstützen. Das Projekt ist für den Ausschuss so überzeugend, dass zum ersten Mal die damals gültige Obergrenze der Förderung von 1,5 Millionen Euro überschritten wird.

Damit kann die Planung der Einrichtung beginnen: Eine Kooperation aus einem deutschen und einem französischen Architekturbüro erhält den Zuschlag und konzipiert ein Gebäude, das genau auf das pädagogische Konzept der Krippe zugeschnitten ist.

Peter Friedrich, Minister für Bundesrat, Europa und Internationale Angelegenheiten des Landes Baden-Württemberg (ganz links) ist bei der Einweihung der deutsch-französischen Kinderkrippe am 24. April voll des Lobes für die wegweisende Einrichtung. Etwas links der Mitte sind die damaligen Oberbürgermeister von Straßburg und Kehl zu sehen: Roland Ries und Dr. Günther Petry, dazwischen die Straßburger Beigeordnete Nicole Dreyer, die maßgeblichen Anteil am Gelingen des Pionierprojekts hatte. 

2013

Am 13. Mai erfolgt die feierliche Grundsteinlegung für die deutsch-französische Krippe und zwar genau an dem Ort, an dem 1939, wenige Tage vor dem deutschen Überfall auf Polen, die Schule eröffnet wurde.

Beim Bau läuft nicht alles glatt: In ihrer gemeinsamen Sitzung müssen die Gemeinderäte aus Straßburg und Kehl zur Kenntnis nehmen, dass die Krippe nicht am 1. Januar 2013, sondern erst am 1. April 2014 ihren Betrieb aufnehmen kann. Schlechter Baugrund muss ausgetauscht werden und führt zu Verzögerungen im Bauablauf.

Der Betrieb dieser besonderen Einrichtung wird dem unter-elsässischen Verein AASBR übertragen, der in Straßburg und im Unter-Elsass bereits mehrere Krippen führt und jahrelange Erfahrung vorweisen kann.

2014

„Das ist eine Investition in die Zukunft": Voll des Lobes über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Straßburg und Kehl ist Peter Friedrich, Minister für Bundesrat, Europa und Internationale Angelegenheiten bei der Einweihung der deutsch-französischen Krippe am 24. April. „Nirgendwo ist so viel Europa wie hier, nirgendwo funktioniert es so gut wie hier“, sagt der Minister. Die beiden Oberbürgermeister Günther Petry und Roland Ries freuen sich, dass es allen Schwierigkeiten zum Trotz gelungen ist, mit der Krippe eines der anspruchsvollsten Projekte zu verwirklichen, das Straßburg und Kehl je in Angriff genommen haben. Die deutsch-französische Kinderkrippe übertrage den Gedanken der Nachhaltigkeit auf die Erziehung von Kindern in ganz frühen Jahren, bei Sprachbildung und Sozialisation. „So können diese Kinder eines Tages von ganz anderen Voraussetzungen ausgehend grenzüberschreitende Lebensläufe haben und grenzüberschreitende Projekte machen: Sie haben die Grenze in sich überwunden“, formuliert Günther Petry und spricht damit auch Jean-Marie Belliard aus dem Herzen: Hier würden die künftigen Bürgerinnen und Bürger für den Oberrhein ausgebildet, sagt der Vorsitzende des Interreg-Begleitausschusses.