Gedenkfeier auf der Passerelle
80 Jahre nach Kriegsende: Ein Zeichen für Frieden und Freundschaft auf der Passerelle
Symbolische Geste an symbolischem Ort: Zu den Klängen von Beethovens Europahymne, intoniert von Musikern der Straßburger Philharmonie, schreiten Jeanne Barseghian vom französischen Rheinufer und Wolfram Britz vom deutschen zur Plattform der Passerelle des deux Rives hinauf. Begleitet werden die Straßburger Oberbürgermeisterin und ihr Kehler Amtskollege von Schülerinnen und Schülern aus beiden Städten sowie von Tänzerinnen. Auf dieser hängenden Insel elf Meter hoch über dem Rhein, halb in Frankreich und halb in Deutschland, reichen sie sich die Hände und erinnern an das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa und an die Befreiung vom Nationalsozialismus vor 80 Jahren. Sie halten keine Reden, sondern lauschen den selbstverfassten Friedensbotschaften der Schülerinnen und Schüler, vorgetragen in Deutsch und Französisch.
Während die Mitglieder des Straßburger Jugendrates und Schülerinnen und Schüler der 9d des Einstein-Gymnasium ihre Wünsche für eine friedliche Zukunft eines geeinten Europas mitteilen – zu denen auch die Freizügigkeit und die Reisefreiheit gehören – sorgen die verschärften Grenzkontrollen an der Europabrücke für einen starken Kontrast und für lange Rückstaus nach Straßburg hinein. In bewegenden Worten bringen die Jugendlichen ihre Dankbarkeit für die gewachsene deutsch-französische Freundschaft zum Ausdruck. „Ohne diese Freundschaft gäbe es uns nicht – zumindest nicht so, wie wir sind: offen, gemischt, neugierig und verbunden durch zwei Sprachen und Kulturen“, hieß es in einem der Beiträge.
In der Hoffnung auf Frieden schwingt aber auch Sorge mit: Angesichts des Kriegs in der Ukraine und des Erstarkens autokratischer Bewegungen weltweit wird die Bedeutung grenzüberschreitender Erinnerungskultur und Zusammenarbeit umso spürbarer. Indem beide Städte gemeinsam der Befreiung vom Nationalsozialismus vor 80 Jahren gedenken, setzen sie ein deutliches Zeichen für Frieden und Versöhnung.
Gemeinsame Erklärung zu den verschärften Grenzkontrollen
Jeanne Barseghian und Wolfram Britz veröffentlichen im Nachgang zur Gedenkveranstaltung eine gemeinsame Erklärung:
„Es war am Tag, an dem wir mit einem großen deutsch-französischen Familienfest das 20-jährige Bestehen des Gartens der zwei Ufer gefeiert haben, als die Bundepolizei wenige Meter weiter die Grenzkontrollen vorbereitet hat, die am 16. September 2024 wieder aufgenommen wurden.
Damals hat man uns versichert, dass die Kontrollen an der Europabrücke, in der Tram und in der Ortenau-S-Bahn so organisiert würden, dass sie den Alltag in unserem rheinüberschreitenden Lebensraum nicht beeinträchtigen.
Bis auf punktuelle Verspätungen der Tram und der Ortenau-S-Bahn aufgrund der Kontrollen wurden diese Zusagen eingehalten.
Das hat sich am heutigen 8. Mai schlagartig geändert. Dass die neue Bundesregierung die Kontrollen so verschärft, dass sie das Leben von Tausenden Grenzpendlerinnen und -pendlern, von Hunderten Schülerinnen und Schülern, von auf beide Rheinseiten verteilten Familien erschweren, können wir nicht akzeptieren.
Dass sie dies an einem Tag tut, an dem wir gemeinsam den 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs mit Botschaften zu Frieden und Versöhnung begehen – und am Vorabend des Europatags –, lässt aus unserer Sicht Geschichtsbewusstsein und Fingerspitzengefühl vermissen.
Seit mehr als drei Jahrzehnten haben uns unsere beiden Staaten aufgefordert, gemeinsame Infrastruktur und Synergien zu schaffen. Dem sind wir hier in Straßburg und Kehl in besonderer Weise nachgekommen und dadurch zu einem gemeinsamen Lebensraum zusammengewachsen, der nur noch als Einheit funktioniert.
Wir fordern den deutschen Bundeskanzler Friedrich Merz und Bundesinnenminister Alexander Dobrindt daher auf, die Kontrollen auf ein Maß zurückzunehmen, das unser rheinüberschreitendes Zusammenleben weiterhin ermöglicht.“