Georg-Krämer-Platz eröffnet

Auf dem Georg-Krämer-Platz wird Geschichte lebendig

Marlen hat eine neue Ortsmitte – und einen Lehrpfad zur Dorf- und Revolutionsgeschichte: Am Samstagmorgen (4.Mai) ist der etwa 3000 Quadratmeter große Platz mit Spielskulptur, Himmelsliegen, Bänken und fünf Geschichtsstelen offiziell eröffnet worden. Dass die Gestaltung in „großartiger Weise“ gelungen ist, wie der Goldscheuerer Ortsvorsteher Richard Schüler lobte, ist dem Zusammenwirken mehrerer Beteiligter zu verdanken, sagte Kehls Erster Beigeordneter Thomas Wuttke. Der Künstler und Grafiker Reinhold Schäfer stellte seine Gestaltung der Stellen dar; Hans Roser, Vorsitzender des Vereins für Heimatpflege, machte deutlich, warum der neue Platz dem einstigen Marlener Adlerwirt gewidmet ist.

Der Künstler und Grafiker Reinhold Schäfer erklärt, wie er die Bilder für die Stelen von Hand gezeichnet hat.

Umrahmt wurde die Einweihungsfeier von vom Musikverein Trachtenkapelle Marlen und der Heckergruppe Offenburg. Auch die Bürgerwehr Nelram passte mit ihren Uniformen bestens ins Bild.

Wie der Platz entstanden ist

„Gut Ding will Weile haben“, bemühte Thomas Wuttke eine alte Volksweisheit, um den Werdegang des Platzes zu erläutern, in den 920 000 Euro investiert wurden. Erste Ideen sind dem Ortschaftsrat noch 2015 während der Umgestaltung ehemaligen B 36 zur Ortsdurchfahrt Marlen vorgestellt worden. Daraus resultierten drei Varianten, die dem Gremium 2017 präsentiert wurden; im Juni 2018 konnten sich Einwohnerinnen und Einwohner ein ungefähres Bild von der künftigen Platzgestaltung machen, in die inzwischen das angrenzende Grundstück miteinbezogen worden war. Dort war ein Haus abgerissen worden.

Als das Land Baden-Württemberg im Januar 2021 entschied, die Realisierung der Ortsmitte Marlen mit rund 250 000 Euro aus dem Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum zu fördern, forderte der Leiter des städtischen Bereichs Tiefbau, Hans-Jürgen Schneider, mehrere Büros auf, sich an einem freiraumplanerischen Wettbewerb zu beteiligen. Damit wurde die Grundlage dafür geschaffen, dass Einwohnerinnen und Einwohner, zusammen mit dem Ortschaftsrat und den Fachleuten aus der Verwaltung „den für Marlen am besten geeigneten Entwurf auswählen konnten“, erklärte Thomas Wuttke und dankte dem Freiburger Büro Pit Müller für die Planung. Aufgabe der Firma Grünkultur aus Achern war es dann, aus einer brachliegenden Verkehrsfläche und einem abgeräumten Grundstück einen attraktiven und grünen Begegnungsraum zu schaffen.

Den südlichen Teil des Platzes mit der Spielskulptur „Nachen im Nebel“ haben die Marlener Kinder freilich schon vor der offiziellen Platzeröffnung für sich entdeckt: Mehrere Dutzend Jungen und Mädchen habe er gezählt, kaum dass die Bauzäune verschwunden gewesen seien, berichtete Ortsvorsteher Richard Schüler. Ein Schwengelbrunnen, der zugehörige Matschbereich und ein Glockenspiel komplettieren den Spielbereich.

Die Spielskulptur symbolisiert einen Treibholzhaufen, auf dem ein Nachen, also ein Flachboot, gestrandet ist. Das Glockenspiel erinnert an die Klänge, die den in Nachen über den Rhein flüchtenden Revolutionären bei Nacht und Nebel die Richtung wiesen.

Die Spielskulptur – sie stellt einen auf einem Treibholzhaufen gestrandeten Nachen (Flachkahn) dar, bildet gleichzeitig die Überleitung zum geschichtlichen Teil des Platzes: Damit wird die abenteuerliche Flucht der Akteure der Badischen Revolution thematisiert. Sie versuchten einst, bei Nacht und Nebel mit solchen Nachen über den Rhein nach Straßburg zu gelangen, um ihren Verfolgern zu entgehen. Orientierung boten ihnen die Schläge der Glocken eines Klangspiels auf französischer Seite – daher auch die Reminiszenz zum Glockenspiel.

Badische Revolutionsgeschichte

Warum der gebürtige Marlener Johann Georg Krämer, der vor 146 Jahren starb, heute mit der Benennung des Platzes geehrt wird, erklärt Hans Roser, indem er als Georg Krämer zum Publikum spricht. Georg Krämer, der als Zweitältester von 13 Kindern aufwächst, wird zunächst Metzger, geht auf Wanderschaft und erbt im Alter von 22 Jahren nach dem Tod des Vaters das Gasthaus Adler. „Weil er zu den Wenigen gehört, die Lesen, Schreiben und Rechnen können“, wird er 1814, also mit 28 Jahren, zum Vogt der Dreiergemeinde Goldscheuer, Marlen, Kittersburg, gewählt und schließlich, 1845, als er den Adler an seinen Sohn übergeben hatte, Landtagsabgeordneter für den Wahlkreis Mannheim. 1847 nimmt er an der verfassungsgebenden Versammlung im Offenburger Salmen teil. Im Adler in Marlen treffen sich die Demokraten und dort sitzt Georg Krämer mit seinen Freunden Friedrich Hecker und Hoffmann von Fallersleben zusammen – wohl um über die Revolution zu diskutieren, mutmaßt Hans Roser, der sich seit vielen Jahren mit der Lebensgeschichte von Georg Krämer beschäftigt.

Er verhilft Kameraden, die als Revolutionäre verfolgt werden, bei der Flucht über den Rhein und erhält den Spitznamen „Fährmann am Rhein“. Doch dann muss auch er fliehen, er versteckt sich in Straßburg, arbeitet dort in einer Ziegelei. Als er 1867 nach Marlen zurückkehrt, wird er verhaftet und muss im Gefängnis in Bruchsal einsitzen. Er erlebt noch den deutsch-französischen Krieg 1870/71 und die Schiffbarmachung des Rheins und den damit verbundenen Aufschwung der Dreiergemeinde, bevor er 1878 im Alter von 93 Jahren in Marlen stirbt.

Eindrücke von der feierlichen Eröffnung des Georg-Krämer-Platzes

Stelen zur Geschichte von Georg Krämer und Marlen

Auf fünf Stelen bringt der Künstler und Grafiker Reinhold Schäfer auf pfiffige Weise 15 Bilder unter. Die Bilder und die Geschichte, die sie illustrieren, „sollen alle ansprechen“ und deshalb suchte Reinhold Schäfer nach einer Möglichkeit, ihnen Leben einzuhauchen: „Der Schlüssel zur Lebendigkeit ist die Bewegung“, lautet sein Kredo und so zerlegte er seine Zeichnungen in schmale Streifen, die als Folien auf Lamellen aufgebracht wurden. Auf diese Weise sieht der Betrachter drei unterschiedliche Bilder, je nachdem, ob er von rechts, von links oder frontal auf die Stelen blickt. Weitere Informationen zu den Stelen finden sich auf der Internetseite der Vereins für Heimatpflege.