Sprachcafé für Seniorinnen und Senioren

Deutsch lernen in Gemeinschaft: Das Sprachcafé für Seniorinnen und Senioren in der Villa RiWa

Im Sprachcafé finden geflüchtete Seniorinnen und Senioren einen Ort zum gemeinsamen Lernen, Austauschen und Ankommen.

Flucht bedeutet stets einen tiefen, meist schmerzvollen Einschnitt. Unabhängig von der individuellen Lebensgeschichte bringt sie den Verlust von Heimat, vertrauten Gewohnheiten und sozialen Bindungen mit sich. Wer in einem neuen Land ankommt, muss sich in einer fremden Sprache und Kultur zurechtfinden. Für ältere Geflüchtete ist diese Herausforderung besonders groß. Genau hier setzt ein Angebot an, das ehrenamtlich in der Villa RiWa organisiert und vom städtischen Integrationsmanagment begleitet wird: Das Sprachcafé für Seniorinnen und Senioren schließt einmal wöchentlich eine Lücke, die sonst kaum wahrgenommen wird.

Für geflüchtete Seniorinnen und Senioren beginnt das Leben in Deutschland mit besonders hohen Hürden. Der Verlust vertrauter Umgebung und die Trennung von Angehörigen wiegen schwer. Hinzu kommt die Sprachbarriere: Während jüngere Menschen von vielfältigen Bildungs- und Sprachkursen profitieren, existieren für ältere Geflüchtete kaum passende Lernformate. Die gängigen Integrationskurse sind fast ausschließlich auf ein jüngeres, schneller lernendes Publikum zugeschnitten. Ältere Menschen werden zwar anfangs zu Sprachkursen zugelassen, doch die Prüfungen bestehen nur wenige. Eine Wiederholung wird nicht gefördert, weitere Kursangebote fehlen. Es ist ein strukturelles Problem.
„Der Weg in die Isolation scheint damit vorgezeichnet“, beschreibt Integrationsmanager Stefan Borho die Lage. Denn fehlende Sprachkenntnisse bedeuten fehlende Teilhabe: kein kurzer Plausch mit der Nachbarin, kein Austausch am Gartenzaun, keine Begegnung im Supermarkt oder im Verein. Umso wertvoller ist ein Angebot wie das Sprachcafé, das erst durch die Herzlichkeit von Eva Fischer, Juristin im Ruhestand, seine besondere Atmosphäre erhält. Sie gestaltet den Kurs ehrenamtlich und begleitet die Teilnehmenden von Oktober bis Dezember auf ihrer anstrengenden Reise durch die deutsche Grammatik.
An diesem Montag sitzen zehn Männer und Frauen mit sehr unterschiedlichen Vorkenntnissen im Begegnungscafé der Villa RiWa. Einige stehen am Anfang, andere – wie Vera aus der Ukraine – fungieren spontan als Sprachbrücke. Wenn Eva Fischer in der Verständigung an Grenzen stößt, springt Vera ein und übersetzt Begriffe wie „neben“, „auf“ oder „an“. Die Lehrerin lächelt dann und erinnert an die Verwendung der Präpositionen: „Im Deutschen darf der Artikel nie fehlen.“ Gemeinsam wird in herzlicher und konzentrierter Atmosphäre geübt und wiederholt.

Eva Fischer, Juristin im Ruhestand, engagiert sich ehrenamtlich von Oktober bis Dezember im Sprachcafé.

Für Menschen wie Volodymyr, 62 Jahre alt und alleinerziehender Vater von vier minderjährigen Kindern, ist das Sprachcafé ein Anker im Alltag. Vor zwei Jahren floh er aus der Region Donezk nach Deutschland. Zunächst lebte er im Sonnenhof, seit einem Jahr hat die Familie eine eigene Wohnung. Die Kinder zwischen acht und 15 Jahren besuchen Schulen in Kehl. Um Arbeit hat Volodymyr sich bisher vergeblich bemüht. Für ihn bedeutet das Sprachcafé mehr als Unterricht: Es gibt Struktur und ist ein Ort, an dem er willkommen ist und Anschluss findet.
Eva Fischer spricht mit der Gruppe auch über Bräuche und regionale Besonderheiten, einmal hat sie Fotos aus dem Nachkriegs-Kehl mitgebracht, „um zu zeigen, dass Wiederaufbau möglich ist.“ Gerade für Menschen, die aus zerstörten Gebieten geflohen sind, könne das ein Hoffnungsschimmer sein. Auch das Grundgesetz – „das große rote Buch“ – bringt die Juristin mit in den Kurs. Heute geht es um Artikel 2, die persönliche Freiheit. Eva Fischer möchte den Teilnehmenden ein Wertegerüst vermitteln, das Sicherheit und Orientierung gibt. „Veränderung entsteht, wenn wir miteinander ins Gespräch kommen und aktiv werden“, betont sie. Dazu brauche es auch Mut – etwas, das im Sprachcafé besonders spürbar wird. Denn hier beginnt Veränderung auch damit, die ersten Worte auf Deutsch zu wagen.

Damit das Angebot nicht nur von Oktober bis Dezember, sondern auch in den übrigen Monaten des Jahres stattfinden kann, wäre ein Anschlusskurs wichtig. Derzeit fehlt jedoch noch eine Person, die Lust und Zeit hat, sich im Sprachcafé einzubringen. Wer das Projekt unterstützen möchte, kann sich jederzeit an das städtische Integrationsmanagement wenden: Stefan Borho ist telefonisch unter 07851 88-2526 oder per Mail an integrationsmanagment@stadt-kehl.de zu erreichen.